Stilleben und Figürliches

Figürliche Graphik ist im Œuvre von Rolf Meyn spärlich gesät. Dadurch bekommt sie natürlich einen besonderen Stellenwert. Insbesondere dann, wenn es sich noch dazu um ein Selbstportrait handelt. Davon gibt es – ganz im Gegenteil zu anderen Mahlau-Schülern – bei Meyn nur eine Handvoll. Und wenn das Selbstportrait dann im Titel auch noch einen großen Künstler huldigt, muss es von besonderer Bedeutung sein. James McNeill Whistler, romantischer Realist, der ab 1858 der Radierung in seinem Werk größte Aufmerksamkeit schenkte.

 

1977 Whistler and me, Kaltnadel auf Kupfer, e.a. Auflage 20, Seglermotiv am unteren Rand auf zweiter Platte mit Sepia eingedruckt.

Ein Vorbild also? Komposition und Erscheinung lassen nur bedingt erahnen, mit welchem technischen Aufwand und welcher Hingabe das Blatt entstanden ist. Zu kaum einer anderen Radierung gibt es mehr Vorstudien, Verwürfe und Überarbeitungen. Meyn selbst posiert nicht blickhaft auf den Betrachter gerichtet, sondern in distinguierter Whistler-Pose, allerdings nicht wie jener mit Pinseln bewaffnet, sondern mit einem Virginia-Zigarillo an den Lippen. Das große Vorbild seitlich im Hintergrund nach einem Portrait von Paul Helleu, darunter als schmaler Streifen eine Adaptation von Whistlers sechzehn View oft the Thames, von Whistler 1871 selbst Nocturnes genannt. Nicht der einzige Titel, der sich im späteren Werk von Meyn wiederfinden lässt, wie beispielsweise auch Crepuscule. Für die weitere Entwicklung sind vor allem die Motive interessant, die Meyn später von Whistler aufgreift: nebelige Küstenlandschaften mit Seglern, Brücken und Häfen, obwohl Meyn die Themen dann mit ganz anderen stilistischen und technischen Mitteln umsetzen wird.

 

1979 Familienalbum I, Kaltnadel auf Kupfer, 1/30

Entstanden ist die Reihe Familienalbum vor dem Hintergrund eines Wettbewerbs mit dem Thema Das Kind in unserer Welt. Was auf den ersten Blick als Hinwendung zu einem sozialkritischen Realismus bei Meyn gedeutet werden könnte – was zumindest thematisch nicht auszuschließen ist – zeigt sich bei genauerer Betrachtung zeitgleich entstandener Blätter allerdings als Beschäftigung und Zitat kunsthistorisch relevanter Werke der Frühromantik. So werden die Hülsenbeckschen Kinder von Philipp Otto Runge (1805) vor dem Gartenzaun des Eimsbütteler Sommerrefugiums zu einem behelmten Kettcar-Fahrer vor einem riesigen Schrottplatz.

 

1979 Hülsenbecks Erbe, Kaltnadel auf Kupfer, 2/30

Die großformatigen Kaltnadeldrucke sprengen inzwischen das Format 50 x 60, nachdem Meyn 1979 eine Tiefdruckpresse von Harry F. Rochat erwirbt. Auch qualitativ wirkt sich die große Presse auf das danach gedruckte Œuvre aus. Das Aquarell pausiert. Neben dem Druck beginnt die Zeit der großen Bleistift- und Farbstiftzeichnungen. Ab 1981 rücken mächtige Baumlandschaften und ausgebreitete Stilleben mit filigraner Schraffur in den Vordergrund des Schaffens.

 

1983 Knoblauch I, Farbstift auf beigem Papier, 44 x 60