Verdichtung des Strichs

1981 bereist Meyn gemeinsam mit seinem Sohn das Ruhrgebiet, um den Abbau des Abbaus bildlich festzuhalten. Im Gepäck eine Mittelformatkamera, mit der das Sterben der Zechen und Industrielandschaften hochauflösend festgehalten wird. Meyn arbeitet – wie so oft – nicht vor Ort sondern setzt das vorgefundene Material später in seinem Atelier in beeindruckende Graphik um. Bevor er sich dem Thema Vergänglichkeit auch druckgraphisch mit kontrastreicher und fast brutaler Realität annähert, entstehen noch im Winter Farbstiftzeichnungen von unglaublicher Intensität.

 

1981 Ruhrgebiet III, Bleistift und Farbstift, 27 x 42

 

Fast spielerisch erscheint nun die Vermischung von industriell-architektonischer Vergänglichkeit mit Variationen eines Stillebens aus faulendem Obst und Knoblauch, die er in seine Bildkomposition einbaut.

 

1981 Ruhrgebiet VI, Farbstift, 31 x 53

Was die Blätter dieser Zeit eint, ist die Verdichtung des Strichs, der Schraffur, die dem Betrachter aus der Distanz eine fast malerische Fläche vor Augen führt, welche sich nur im Nahen als gezeichnete Struktur filigraner Strichfolgen zu erkennen gibt. Das Gleiche gilt für die Handzeichnungen mit Bleistift oder Graphit, die ab dieser Zeit in der Tradition altmeisterlicher Gemälde ausgeführt werden und allesamt — teils über Wochen — im Hamburger Atelier entstanden.

 

1982 Nach dem Sturm, Bleistift, 42 x 58

 

Bäume und Vegetation werden in der Zeichnung und Graphik zu einem beherrschenden Motiv in Meyns Werk. Ende der achtziger Jahre sind es nicht mehr flüchtig hingeworfene Skizzen, sondern großformatige Kompositionen, deren Einzelformen bis ins Detail ausgearbeitet sind. Das Strichgefüge erscheint bis in kleinste Nuancen realistisch, und vielleicht erst ab diesem Zeitpunkt führt Meyn die Handzeichnung zu einer Meisterschaft, die letztendlich seinem Lehrer Alfred Mahlau geschuldet ist.

 

1987 Alte Mandelbäume, Bleistift, 50 x 70

 

1987 Ölbäume II, Bleistift, 65 x 89

 

1989 Große Distel, Graphit und Bleistift, 58 x 73

Die Stilleben in Kombination von Graphit und Farbstift, die Anfang der neunziger Jahre entstehen, können als ein weiterer Höhepunkt im Schaffen von Rolf Meyn bezeichnet werden. Fast selbsterklärend bekunden die Blätter der welkenden Blütenzweige oder Trockenblumen, welche gestalterische Stellung das Licht im Werk von Meyn einnimmt. Die regellosen Strukturen der Vergänglichkeit erhalten durch das exakte Einfangen von Licht und Schatten erst ihre realistische Prägnanz, gesteigert durch den Kontrast zum farblosen Gerippe, wenn Meyn einzelne Passagen im Bild als scheinbar unvollendet in der Farblosigkeit des Bleistiftes stehen lässt.

 

1992 Weißer Rhododendron, Bleistift und Farbstift, 65 x 54

Immer wenn Meyn einer Technik oder einem Sujet Virtuosität abgewonnen hat, und er glaubt, dem nichts mehr hinzufügen zu können, wendet er sich anderem zu – meist einer anderen Technik. So wundert es nicht wirklich, wenn er die Erkenntnisse aus der Zeichnung auf die Druckgraphik zu übertragen versucht. Das Radierwerk der Folgezeit ist dementsprechend gekennzeichnet von einem zeichnenden, ja fast malenden Stichel und einer Künstlerhand, die zwar immer noch nervös schraffiert, aber immer mehr in romantische Kompositionen verfällt.

 

1993 Distel Variation IX, Kaltnadel, offene Flächenätzung und vernis mou auf Zink, e.a.

Aus der flächigen Zeichnung wird in den folgenden Jahren die Fläche im malerischen Sinn. Als Basis wird erneut das Aquarell gewählt, aber nur als Flächen gestaltender Hintergrund, der durch die auferlegte Linie des Stiftes übertroffen wird.