Traumlandschaften

Das klassische Aquarellieren unterliegt handwerklichen Spielregeln, denen man sich kaum entziehen kann. Als da wären Anmischung und Wassergehalt der Farbe, Farbauftrag und Trocknungszeit. Farbflächen dürfen sich im Regelfall nicht berühren, sonst drohen ungewollte Verläufe. Ist der Wassergehalt zu hoch, wellt sich das Papier unwiederbringlich. Dennoch ist es im eigentlichen Sinn eine spontane Maltechnik. Meyn beherrscht die Technik bis zur Perfektion. Ab 1998 aquarelliert er auf Büttenpapier, das durch seine Struktur eine schnelle Farbaufnahme gewährleistet.

2002 Ruine, Aquarell, Privatsammlung

Kurze Zeit später beginnt Meyn, die Farbe nicht nur mit dem Pinsel aufzutragen, sondern verteilt sie flächig mit Hilfe von Schwamm und Kielfeder. Teilweise ist es mehr ein Wischen, denn ein malen. Es ist wohl mehr ein Zufall gewesen, dass Meyn das Aquarell dabei – erst einmal für sich selbst – neu erfindet. Das Geheimnis lag in der Verwendung extrem dicker, saugfähiger, handgeschöpfter Papiere allerhöchster Qualität. Dennoch liest es sich fast wie eine Anekdote, denn Meyn aquarellierte in einem extrem heißen Sommer auf der Terrasse seiner zweiten, französischen Heimat, als ihm in der Hitze die Farben zunächst schneller, als eigentlich erwünscht trockneten. Nach seinen Worten schneller, als der Pinselstrich beendet war. Allerdings erkannte Meyn sofort das Potential hinter diesem Phänomen und machte es sich zu Nutze.

2003 1. Mose 19, Aquarell und Kreide auf Bütten, 50 x 50

Denn nun konnte er – ähnlich der Ölmalerei – Farbschichten übereinandersetzen, ohne dass sie ineinander verlaufen, egal wie viel Wasser er den Pigmenten beimischte. Es entsteht eine Schichtmalerei mit Aquarellfarben, deren räumliche Tiefe unermesslich scheint, da er auch hellere auf dunklere Farben setzen kann.

2004 Brücken X, Aquarell auf Bütten, 49 x 50

Die Leuchtkraft dieser Aquarelle ist phänomenal. Dank der Robustheit des kräftigen Büttens, kann Meyn mit einem feuchten Schwamm oder Lappen sogar partiell Untergrundfarben auswaschen und neue Farben darüber platzieren. Besonders eindrucksvoll gelingt das, wenn Komplementärfarben – häufig Orange und Blau – als Fläche oder deckende Höhung eingesetzt werden.

2004 Komplementäre Landschaft, Aquarell, Pastellkreide und Farbstift, 35 x 50

Zwischen 2004 und 2010 entstehen Aquarelle in dieser Technik auch im heimischen Atelier in Hamburg, wo zur schnellen Trocknung des Papiers spezielle Heizradiatoren zum Einsatz kommen.

2004 Segler im Hafen, Aquarell auf Bütten, 41 x 50

Es sind vorrangig Traumlandschaften, Phantasiewelten ohne reale Vorbilder, die Meyn zu Papier bringt. Nun tauchen all die Motive wieder auf, die seit der Orientreise immer wieder verarbeitet wurden: Brücken und Kuppeln, Küstenlandschaften und Ruinen, Hafenkräne und Segler.

2006 Segler im Rund, Aquarell auf Bütten, D 41

2010 Wolkenspiel I, Aquarell auf Bütten, 38 x 48

Das verwendete Bütten ist kostbar. Das Papier im vorgegebenen quadratischen Format 50 x 50 kostet mehr als ein Aquarell von Meyn in den siebziger Jahren. Dennoch aquarelliert Meyn sogar eine Handvoll Übergrößen im Format 100 x 100. Die Blätter dieser Zeit gehören sicherlich zu den Höhepunkten in Meyns Schaffen. Aber wie so häufig wendet sich Meyn von einer Technik ab, wenn er meint, sie nicht weiter perfektionieren zu können.

2012 Vergängliches Stilleben, Bleistift, Farbstift und Ölkreide, 36 x 53

Noch einmal setzt er sich zeichnerisch mit Bäumen und Stilleben auseinander. Die kurz vor seinem Tod entstandenen Zeichnungen sind Quasi-Palimpseste, denn Meyn greift auf alte Unterlagen zurück, die auf Reißbrett oder Arbeitstisch gepinnt waren. Es sind die vielfach überzeichneten oder getuschten Ränder seiner anderen Werke, die ihm nun also Grundlage, bildlich als Rahmen dienen, dem Betrachter als teilweise durchbrochenes Fenster auf die Strukturen der gezeichneten Vegetation erscheinen mögen.

2013 Palimpsest, Bleistift und Farbstift, 75 x 60